Wie die Amish, eine Bastelstraße und ein kleines Mädchen meine Idee ins Rollen brachten

16. Sep. 2025 | 0 Kommentare

Wie die Amish, eine Bastelstraße und ein kleines Mädchen meine Idee ins Rollen brachten

 

25 Jahre habe ich in einem großen Automobilkonzern gearbeitet. Wenn ich die Zahl heute so ausspreche, klingt sie fast unwirklich. Ein Vierteljahrhundert – das ist mehr als mein halbes Leben.
Ich habe mich beruflich entwickelt, Karriere gemacht, Verantwortung übernommen, viel erlebt.

Aber das, was mir in dieser Zeit am meisten Spaß gemacht und bedeutet hat, waren nie die Zahlen oder die Erfolge auf Papier. Es war die Zusammenarbeit mit den Menschen. Junge Talente, die ich fördern durfte. Mitarbeiter, denen ich Mut gemacht habe, an sich zu glauben. Kollegen, mit denen ich viele Projekte umsetzen und die ich begleiten konnte. Ich habe immer versucht, andere mitzunehmen, nicht nur selbst „nach oben“ zu gehen. Vielleicht war das auch ein Grund, warum ich selbst Erfolg hatte – weil ich gesehen habe, was in anderen steckt, und ihnen helfen konnte, das zu entfalten und zu zeigen.

Und trotzdem war da irgendwann dieses Gefühl, das ein wichtiger Lebensabschnitt zu Ende geht und nun Raum ist für einen Neuen. So wertvoll die Jahre waren – tief in mir spürte ich, dass ich noch etwas anderes machen wollte. Etwas, das nicht auf Geschäftsberichte hinausläuft, sondern auf ein Stück Leben. Also habe ich im Sommer 2025 den Schritt gemacht und bin ausgestiegen.

Plötzlich hatte ich Zeit. So viel Zeit, dass es sich erst fremd anfühlte. Ich wusste, dass ich mich nächstes Jahr als Trainer für Persönlichkeitsentwicklung selbstständig machen will, aber jetzt… jetzt wollte ich etwas nur für mich tun. Etwas, das herausfordert, von Herzen kommt und mir Zeit für mich gibt.

Natürlich kam mir zuerst der Jakobsweg in den Sinn. Viele Bekannte sind ihn gegangen und erzählen begeistert davon. Ich glaube sofort, dass das ein unglaublich prägendes Erlebnis sein kann – nur habe ich für mich gespürt: Das ist diesmal nicht mein Weg. Ich wandere zwar gern, aber ich wollte etwas Eigenes, etwas, das besser zu mir passt. Radfahren wiederum – naja, da bin ich eher kein Ausdauertyp.

Und dann tauchte dieses Bild in mir auf: Unser Urlaub in den USA, bei den Amish. Ich sehe sie noch vor mir – die schwarzen Pferdekutschen, die Schlichtheit, das einfache, reduzierte Leben. Aber was mich damals wirklich fasziniert hat, waren die Frauen und Kinder mit Tretrollern. Dieses Bild ist mir nie ganz aus dem Kopf gegangen. Und in diesem Sommer dachte ich: Genau das ist es! Keine ausgetretenen Pfade, sondern mein eigener Weg – mit dem Tretroller quer durch Deutschland.

Und die Strecke? Ich habe schon oft von Fahrern der Fichkona gehört und mir jedes Mal dabei gedacht: „Sie sind doch vollkommen irre!“. Aber ich habe einen mega Respekt vor der Leistung! Und da mich die Vorstellung einer Strecke von über 600km schon gereizt hat, waren Start und Ziel auch recht schnell klar.

Die Idee verschwand wieder, wie so viele verrückte Gedanken. Bis zu dieser Nacht im August. Ich lag wach, konnte nicht schlafen – und plötzlich war sie wieder da. Klar, deutlich, fast so, als hätte mir jemand ins Ohr geflüstert: „Mach es jetzt!“ Und da wusste ich: Es gibt keinen besseren Moment.

Also habe ich angefangen zu recherchieren. Und festgestellt: Tretroller ist nicht gleich Tretroller. Da gibt’s Modelle für die Stadt, fürs Gelände, für Touren. Ich war fast erschlagen von der Auswahl. Zum Glück habe ich einen Shop gefunden, der mir sympathisch war. Ich rief dort an, und am anderen Ende war jemand, der sich Zeit nahm. Der mir erklärte, worauf es ankommt, und geduldig meine vielen, vielen Fragen beantwortete. Nachdem ich dann wusste, das es die eierlegende Wollmilchsau auch bei Tretrollern nicht gibt, war der Entschluss klar – und mein Roller bestellt.

Als ich Freunden und Bekannten davon erzählte, erntete ich große Augen, Lachen, Kopfschütteln. „Mit dem Tretroller? Ernsthaft?“ Aber genau das hat mich bestärkt. Ich war nie der Typ, der den Weg geht, den alle gehen. Warum also jetzt anfangen?

Doch je mehr ich darüber nachdachte, desto klarer wurde mir: Ich will das nicht nur für mich machen. Ich möchte, dass daraus etwas entsteht, das anderen hilft. Das bleibt. Oder zumindest über mich hinaus geht.
Und sofort kam mir das Lebenshaus in Lichtenstein in den Sinn. Wir haben aufgrund unserer Pflegeelternschaft viele persönliche Erfahrungen machen dürfen, und beim 25-jährigen Jubiläumsfest war für mich ein besonderer Moment dabei: Es gab eine Bastelstraße, und dort sah ich ein kleines Mädchen – vielleicht vier oder fünf Jahre alt, augenscheinlich mit Migrationshintergrund. Sie malte mit einer unglaublichen Detailgenauigkeit, mit Präzision und mit Hingabe in totaler Versunkenheit eine kleine Gipsfigur an. Ich stand da und war fasziniert, wie dieses Kind in seinem Tun aufging – und was für ein wirklich unglaubliches Ergebnis am Ende da war. Sie war eine kleine Künstlerin und konnte ihrer Fähigkeit und Gabe hier an diesem Basteltisch freien Lauf lassen und es der Welt zeigen.

In diesem Moment wurde mir wirklich bewusst, wie viele Kinder unglaubliches Potenzial in sich tragen, wie viele Talente in ihnen schlummern – und wie oft es niemals dazu kommt, dass sie diese entdecken oder entfalten können. Wie viele Fähigkeiten, wie viele wunderbare Ergebnisse bleiben verborgen, nur weil Kindern die Chance fehlt, ihr Potenzial zu entfalten. Wie viel reicher könnte unsere Welt sein, wenn wir helfen würden, diese in den Kindern verborgenen Schätze aus ihren Verstecken heraus zu locken und ans Tageslicht, in die Welt, in unsere Gesellschaft zu bringen. Wie viel glücklichere Kinder würden zu glücklicheren Erwachsenen heranreifen und unsere Zukunft gestalten und bereichern.

Genau das hat mich dazu bewegt, mich für das Lebenshaus einzusetzen. Denn dort kümmert man sich um Kinder, die mit einem oft schweren Start ins Leben gegangen sind. Kinder, die vielleicht von Haus aus nicht die Möglichkeit haben, ihre Talente und Leidenschaften zu entdecken und zu entwickeln. Im Lebenshaus bekommen sie Halt, Geborgenheit und die Chance, das in sich zu finden, was die Welt reicher macht.

Und so ist der Plan entstanden: Vom Fichtelberg bis ans Kap Arkona. Zwölf Tage, jeden Tag 50 bis 60 Kilometer. Warum zwölf? Da steckt keine große Logik dahinter. Ich wollte am 01.10.25, einem Mittwoch, starten. Das Datum ist nicht zu weit weg und es ist (hoffentlich) noch nicht zu kalt und zu nass. Ich wollte gern an einem Sonntag ankommen. Warum? Keine Ahnung. War so ein Bauchgefühl. Also gab es zwei Möglichkeiten: Fünf Tage: das wäre Wahnsinn und etwas zu viel des Irrsinns gewesen. Also habe ich mich für zwölf entschieden und will am Sonntag, dem 12.10.25 am Kap Arkona sein. So fühlt es sich einfach richtig an.

Die Taschen sind noch nicht gepackt, aber stehen bereit, die Kleidung ist organisiert (sogar mit Aufdrucken, damit man unterwegs erkennt, wofür ich fahre). Die Route ist grob geplant. Ein paar Unterkünfte buche ich im Voraus, den Rest lasse ich offen. Denn das ist ja auch Teil des Abenteuers: nicht alles vorher wissen, Platz für Überraschungen lassen.

Und jetzt, wo es bald losgeht, spüre ich diese Mischung aus Aufregung, Vorfreude und Dankbarkeit.
Es ist ein Neuanfang, ein sportliches Abenteuer – und ein Herzensprojekt.

Wenn ihr mich also bald irgendwo in Deutschland auf einem Tretroller seht – ja, das bin ich. Und vielleicht rollt nicht nur der Roller, sondern auch die eine oder andere Spende, damit Pflegekinder ihre Chancen bekommen, ihre Träume zu leben und der Welt ihre Fähigkeiten schenken zu können.

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Bis demnächst
Dirk

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