Heute war es endlich soweit. Der Start meiner Tour.
Meine Frau Melanie hat mich früh am Morgen auf den Fichtelberg gefahren. Klingt erstmal simpel – Navi an, hochfahren, fertig – aber im Erzgebirge ticken die Uhren ein wenig anders. Hier bedeutet eine Umleitung selten nur ein paar hundert Meter extra, sondern meist gleich ein ordentlicher Schlenker durchs Hinterland. Wir kurvten also über kleine Straßen und verschlafene Dörfer, und schon die Anfahrt fühlte sich an wie eine kleine Reise für sich.
Oben angekommen, war die Begrüßung weniger freundlich. Nebel, so dicht wie Watte – echte Waschküche. Sichtweite vielleicht 100 Meter. Viel von „grandiosem Bergpanorama“ konnte man sich da nur denken. Aber wir ließen uns davon nicht stören. Zuerst haben wir das Start-Video gedreht, hochgeladen und direkt an Freunde, Status und Kanal geteilt. Dann sind wir ein paar Meter weitergegangen, und genau in diesem Moment passierte etwas, das ich nicht besser hätte planen können: Der Himmel riss auf, der Nebel löste sich, und die Sonne brach durch. Plötzlich war die Welt wieder da – klar, hell, freundlich. Ich habe schnell das Foto gemacht, das ihr hier als Beitragsbild seht. Das war der perfekte Startschuss. Erst danach habe ich mich wirklich auf meinen Roller gestellt und bin losgefahren.
Die ersten 15 Kilometer waren ein Geschenk. Bergab, die Schwerkraft auf meiner Seite, Fahrtwind im Gesicht. Das war nicht nur entspannt, sondern auch eine Gelegenheit, mich langsam an das Gewicht meines Gepäcks zu gewöhnen. Anfangs dachte ich: „Puh, das zieht aber ordentlich nach hinten.“ Aber mit jedem Kilometer verschmolz es ein Stück mehr mit dem Fahren, bis es fast selbstverständlich wurde.
Was mich heute wirklich erstaunt hat: die vielen ausgebauten Radwege. Ich schätze, etwa 80 Prozent meiner Strecke liefen über Radwege – mal asphaltiert, mal geschottert, mal durch Wälder, mal neben Landstraßen. Das Bild hat sich ständig gewechselt, aber die Qualität war erstaunlich hoch. Und trotzdem: An diesem ganzen Tag habe ich vielleicht zehn Menschen getroffen (die nicht im Auto saßen). Zwei Radfahrer, ein paar Spaziergänger. Manchmal hatte ich das Gefühl, dass all diese Radwege heute nur für mich ausgerollt worden waren. Ein fast schon surrealer Kontrast: Wege in Topform, aber keine Menschen darauf.
Einer meiner Lieblingsmomente war unscheinbar, aber er bleibt mir im Kopf: Ein asphaltiertes Stück Weg, leicht bergab, übersät mit trockenem Laub. Ich bin hindurchgefahren, und hinter mir haben die Blätter kleine Wirbel gebildet, sind durcheinandergewirbelt und in neuer Ordnung wieder zu Boden gefallen. Für einen Moment sah es aus, als hätte ich eine Spur hinterlassen – nichts Großes, nichts Bleibendes, aber doch eine Veränderung. Das hat mich nachdenklich gemacht: Auch im Alltag hinterlassen wir ständig Spuren, ohne es bewusst zu merken. Manche verweht der nächste Windstoß, andere bleiben länger sichtbar. Aber sie sind da – und sie entstehen, wenn man losgeht.
Mittags habe ich in Tannenberg Halt gemacht, bei einem kleinen Bäcker. Belegtes Brötchen, Kaffee – nichts Besonderes, aber genau das Richtige. Zum Glück, denn direkt danach wartete die härteste Passage des Tages: von Tannenberg über Geyer in Richtung Thum. Eine Stunde bergauf. Und zwar so steil, dass ich die Hälfte fahren konnte – mit viel Kraftaufwand – und die andere Hälfte schlicht schieben musste. Es war mühsam, ich habe geschnauft, geschwitzt und mir mehrfach gedacht: „Warum tue ich mir das an?“ Aber gleichzeitig wusste ich: Genau dafür bin ich losgefahren. Nicht für das einfache Rollen, sondern für die Erfahrung, sich durchzubeißen.
Oben angekommen, am Freizeitbad Greifensteine, hatte ich dann die Belohnung: ein weiter Blick über das Erzgebirge. Der Nebel vom Morgen war längst vergessen, und in der Ferne breiteten sich die Hügel wie eine Welle aus. Da wurde mir klar, wie relativ Anstrengung ist: Eine Stunde quälen – und ein paar Minuten Aussicht können alles wieder in Balance bringen.
Die Temperaturen waren heute auch eine kleine Reise für sich. Oben am Fichtelberg etwa 0 °C, die Luft schneidend frisch. Später, auf rund 600 m Höhe, waren es dann schon gute 8 °C, und ich habe die dicken Handschuhe gegen leichtere getauscht. Die Sonne hat sich nicht mehr dauerhaft gezeigt, aber sie hatte ihren Auftritt an genau der richtigen Stelle: beim Start.
Und manchmal reicht ein einziger solcher Moment, um den ganzen Tag zu tragen.
Nach Geyer wurde die Strecke etwas ruhiger, weniger steil, lange Passagen zum Dahinrollen. Da habe ich überlegt: Fahre ich heute 47 Kilometer oder hänge ich noch ein Stück dran und mache 58? Es lief erstaunlich gut, also entschied ich mich für die längere Variante – und steuerte Kleinolbersdorf an. Der letzte Anstieg dort hatte es dann noch einmal in sich. Meine Kräfte waren ziemlich am Ende, ich musste Kilometer für Kilometer schieben, und alles in mir wollte nur noch ankommen. Aber irgendwann war es geschafft. Ich stand vor dem Hotel Kleinolbersdorf, kaputt, aber zufrieden. Das Abendessen dort war köstlich – und ehrlich gesagt das beste Ende, das sich dieser Tag wünschen konnte.
Was ich mir aus diesem Tag mitgenommen habe
Der erste Tag hat mir mehr gezeigt, als ich erwartet hätte. Das Leben ist ein ständiges Auf und Ab – manchmal geht es leicht bergab, manchmal schwer bergauf. Aber egal, wie steil der Anstieg ist: Es gibt immer eine Kuppe, und danach rollt es wieder.
Mir ist auch klar geworden, wie wichtig es ist, große Aufgaben in kleine Schritte zu zerlegen. Wenn ich den ganzen Tag an „noch 40 Kilometer“ gedacht hätte, wäre ich vermutlich entmutigt gewesen. Stattdessen habe ich mich nur auf meine Schrittfolge konzentriert: sechs Tritte links, sechs rechts, wieder und wieder. In kleinen Portionen wird selbst das Unmögliche machbar.
Und noch etwas nehme ich mit: Die Reflexion unterwegs ist fast so wertvoll wie die Bewegung selbst. Ein paar wirbelnde Blätter haben mir gezeigt, dass auch kleine Handlungen Spuren hinterlassen können. Manchmal sind es gar nicht die großen, sichtbaren Meilensteine, sondern die kleinen Momente zwischendurch, die einen Tag – oder ein Leben – prägen.
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Bis morgen
Dirk

