Tag 10: Das Ziel – und was danach bleibt

10. Okt. 2025 | 0 Kommentare

Heute war der letzte Tag. Der Morgen begann still, fast feierlich. Ich wollte früh starten, um genug Zeit zu haben – und stand gegen 8:30 Uhr auf dem Roller. Der Wind kam von Nordwest, schubste mich mal sanft, mal fordernd, als wollte er mich noch ein bisschen prüfen, bevor er mich gehen lässt. Die ersten Meter fühlten sich seltsam an. Dieses Bewusstsein, dass es heute wirklich zu Ende geht, war noch nicht ganz da. Irgendwie fuhr ich einfach los – so wie an jedem anderen Tag auch.

Es dauerte eine Weile, bis ich realisierte, dass dies tatsächlich der letzte Abschnitt meiner Reise ist. Zehn Tage. Zum Schluss sollten es dann tatsächlich 621,5 Kilometer sein. Und doch verschwimmen die Etappen in der Erinnerung. Nur wenige Dinge bleiben klar: die Gespräche mit den Leuten, das einfache Essen unterwegs, die Freiheit auf den Feldern und in den Wäldern. Und vor allem, wie wenig ich in diesen zehn Tagen wirklich gebraucht habe. Vielleicht ist genau das die eigentliche Erkenntnis – dass Zufriedenheit nichts mit Besitz zu tun hat, sondern mit dem Gefühl, genug zu haben.

Der Wind wurde gegen 10 Uhr kräftiger. Mal schob er mich, mal stellte er sich mir entgegen. Auf einem Stück von sechseinhalb Kilometern fühlte es sich an, als würde ich bergauf fahren – nur ohne Berg. Ich musste lachen, weil es am Ende fast ein Spiel war: ich gegen den Wind. Und vielleicht war das sinnbildlich für die ganze Tour.

Mittags hielt ich an einer kleinen Fischbude, bestellte ein Backfischbrötchen und kam mit den Leuten dort kurz ins Gespräch. Es war so ein einfacher, stiller Moment – Sonne, Salzluft, Essen auf die Hand, und irgendwo das Gefühl, dass alles gut ist. Danach weiter, auch wenn die Beine müde waren. Nach jeder Pause dauert es ein paar Minuten, bis man wieder in den Rhythmus findet. Erst schmerzt alles, dann läuft es wieder rund. Der Körper ist ein erstaunliches Werkzeug.

Ein Stück weiter kam ich zur Wittower Fähre. Ich liebe Fähren. Es ist jedes Mal, als würde man für ein paar Minuten die Welt wechseln. Auf der anderen Seite war der Radweg zunächst perfekt ausgebaut – bis zur Baustelle. Also ging es auf den alten, geschotterten Weg, etwas uneben, aber egal. Dann stand er da: der erste Wegweiser zum Kap Arkona. 31 Kilometer. Meine App zeigte weniger, aber das spielte keine Rolle mehr. Jetzt war jeder Meter einfach nur noch Teil des Ankommens.

Etwa zehn Kilometer vor dem Ziel traf ich meine Familie. Sie kamen mir auf ihren Fahrrädern entgegen, und ich wusste in dem Moment, dass das hier das schönste Stück der ganzen Tour werden würde. Gemeinsam fuhren wir weiter – still, lachend, dankbar.

Die letzten vier Kilometer führten über einen kleinen Wanderweg, direkt an der Steilküste entlang. Links das Meer, rechts die Felder, vor uns das Licht. Und dann stand er da, der alte Leuchtturm von Kap Arkona – das Ziel. Der nördlichste Punkt der ehemaligen DDR. Ich hielt kurz an, atmete, und ehrlich gesagt wusste ich nicht so recht, was ich fühlen sollte. Es war… ruhig in mir. Kein Jubel, kein Triumph. Eher dieses leise Staunen, dass es jetzt wirklich vorbei ist.

Ich machte mein Abschlussvideo, stellte es online, und danach gingen wir gemeinsam zum Imbiss am Leuchtturm. Ganz unspektakulär gab’s Currywurst mit Pommes – und sie hat selten so gut geschmeckt. Danach fuhren wir dieselbe Strecke wieder zurück zum Campingplatz. Es fühlte sich komisch an. Ich war nicht mehr unterwegs. Das Ziel war erreicht – und gleichzeitig war ich schon wieder „danach“.

Rückblickend erscheint mir alles leichter, als ich es mir vorgestellt hatte. Die Herausforderungen waren da – der Wind, das Wetter, die Müdigkeit –, aber sie waren nie das Problem. Der eigentliche Kampf spielte sich im Kopf ab. Am Ende war diese Reise weniger ein Test für die Muskeln als für den Geist.

Was ich mir aus diesem Tag mitgenommen habe

Große Dinge bestehen aus kleinen Schritten. Diese 621,5 Kilometer habe ich nicht auf einmal geschafft, sondern in winzigen Etappen. Acht Tritte links, acht rechts – immer wieder. Wenn man das auf’s Leben überträgt, merkt man: Alles Große entsteht aus dem Kleinen, wenn man einfach dranbleibt.

Klagen ändert nichts. Ob der Wind von vorn kommt oder der Weg holprig ist – er bleibt, wie er ist. Weiterfahren ist die einzige Lösung. Beschweren hält dich auf, Bewegung bringt dich weiter.

Ankommen ist kein Ende. Das Kap war mein Ziel, aber es fühlt sich nicht wie ein Schlusspunkt an. Eher wie ein Komma. Vielleicht fängt das eigentliche Reisen erst an, wenn man stehenbleibt und merkt, was man unterwegs alles in sich bewegt hat.

Zum Schluss möchte ich mich bedanken:

Bei meiner Frau Melanie, die mir in der ganzen Zeit der Vorbereitung und der Tour den Rücken freigehalten hat – ohne sie wäre diese Tour so nicht möglich gewesen.

Bei Martin Seidel, der mich mit den bedruckten Fahrradklamotten und Mega Support unterwegs unterstützt hat.

Bei allen Spenderinnen und Spendern, die den Lebenshaus e.V. schon jetzt mit ihren Beiträgen unterstützen – ihr habt mit jedem Euro etwas bewegt.

Und bei den vielen Menschen, die mich unterwegs mit Nachrichten, Kommentaren und guten Worten bestärkt haben. Es war schön, euch auf dieser Reise irgendwie dabeizuhaben.

In den nächsten Tagen werde ich noch einmal einen Blogartikel schreiben – ein Resümee der Reise. Aber erst mit ein paar Tagen Abstand. Damit sich alles setzen kann. Damit ich sehen kann, was wirklich bleibt.

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Also bis demnächst und danke das du mir das wichtigste geschenkt hast, was du besitzt – deine Zeit.

Dirk

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