Der vierte Roller-Tag begann gegen 7:30 Uhr – und schon die ersten Meter hatten etwas Magisches. Über mir spannte sich ein Regenbogen, so klar und farbig, dass ich unwillkürlich lächeln musste. Es fühlte sich an, als würde mir jemand sagen: „Heute wird gut.“ Und so startete ich mit diesem Gefühl in den Tag.
Die Strecke führte mich über endlos lange, gerade Radwege durch die Kiefernwälder Brandenburgs. Wenn man hier eine Weile unterwegs ist, kommt man fast automatisch ins Nachdenken. Die gleichmäßig vorbeiziehenden Baumreihen schaffen eine seltsam beruhigende Atmosphäre – man weiß nie genau, wie weit man schon gekommen ist, aber man spürt, dass man sich bewegt. Immer wieder durchbrechen Wurzeln den Asphalt, heben ihn an, sprengen kleine Risse hinein. Es ist, als wolle die Natur sagen: „Schön, dass ihr Straßen baut, aber wir holen uns das irgendwann zurück.“ Und genau das tut sie – still, geduldig, unbeirrbar.
Die sandgesäumten Straßen, die niedrigen Häuser mit ihren kleinen Eingängen – all das erinnerte mich an meine Kindheit in den Ferien an der Ostsee. Diese einfachen Wege, die Wiesen daneben, die kleinen Häuser direkt an der Straße – sie riefen Erinnerungen wach an Urlaube, an Sonne, an unbeschwerte Tage.
In einem der Dörfer entdeckte ich einen Bäckerwagen. Der Duft von frischem Gebäck hing in der Luft, und natürlich konnte ich nicht vorbeifahren, ohne anzuhalten. Ich kaufte mir einen großen Dominostein. Neben mir stand eine ältere Dame in grauen Filzpantoffeln, die nach ihrem Einkauf langsam die Dorfstraße entlangging. Es war ein Moment wie aus einem anderen Jahrhundert – so ruhig, so einfach, so echt.
Vielleicht war es genau das, was mich heute so berührt hat: diese Ruhe, die Stille, die Gelassenheit, die in der vermeintlichen Öde liegt. Für mich war das keine Leere, sondern ein Geschenk. Ein Raum der sich nur dort öffnen kann, wo nicht schon anderes ihn ausfüllt. Ich glaube, die Menschen, die hier wohnen, sehen das anders – für sie ist es Alltag. Aber es zeigt mir, wie sehr wir oft das schätzen, was wir gerade nicht haben. Und wie wichtig es ist, sich dort, wo man ist, innerlich und äußerlich auf das zu konzentrieren was schon da ist, statt ständig zu denken, woanders wäre alles besser.
Nach etwa der Hälfte der Strecke erreichte ich Lebusa und machte dort meine Mittagspause. In einem echten kleinen Dorfladen – so, wie man ihn sich aus früheren Zeiten vorstellt. Kein Hochglanz, kein überfülltes Sortiment. Nur das, was man braucht. Und was sie nicht haben, braucht man auch nicht. Kinder liefen zwischen den Regalen herum, Nachbarn tauschten die neuesten Dorfgeschichten, und ich war plötzlich mittendrin. Als ich wieder losfuhr, wünschte mir der ganze Laden eine gute Fahrt. Diese Wärme hat mich noch lange begleitet.
Auf dem nächsten Streckenabschnitt kam mir ein Song in den Sinn – „Über den Wolken“ von Reinhard Mey. Ich hörte ihn beim Fahren, und er passte perfekt. Diese Weite, der offene Himmel, die Felder, das Licht – alles fühlte sich grenzenlos an. Und vielleicht war das genau der richtige Soundtrack für diesen Tag. Übrigens: Sein Album „Mein Apfelbäumchen“ kann ich allen Eltern nur empfehlen – voller Lieder, die das Herz wärmen und gleichzeitig zum Lächeln bringen.
In einem der Kiefernwälder fiel mir plötzlich ein Baum auf – und ich musste anhalten. Er wuchs unten schräg, fast liegend, als hätte ihn einmal etwas mächtiges in die Knie zwingen wollen, und machte dann einen harten Knick nach oben – kerzengerade, und schließlich höher als alle anderen. Diesen Baum habe ich als Beitragsbild gewählt. Für mich steht er für das, was Leben ausmacht: sich dem Leben stellen, es so zu nehmen wie es ist, aber niemals aufzuhören zu wachsen und zu streben und damit irgendwann seine Richtung zu finden.
Ich stand lange vor diesem Baum. Dieser Baum verkörperte für mich das Leben und das Streben nach dem Leben, wie ich mir kein anderes oder besseres Bild je hätte ausdenken können.
Der Wind spielte heute sein eigenes Spiel. Mal kam er von hinten und schob mich sanft an, mal blies er mir direkt ins Gesicht. In den offenen Feldern spürte ich ihn besonders deutlich – und er erinnerte mich daran, dass man selbst bei Rückenwind treten muss, um in Bewegung zu bleiben.
Die letzten zehn Kilometer kamen mit einem kräftigen Regenguss. Endlich hatte meine Regenkleidung ihren Auftritt – und ehrlich gesagt: Es tat gut, einfach weiterzufahren, trotz Nässe. Das Ziel kam in Sicht: Schloss Stülpe.
Das barocke Anwesen wird von einem engagierten Ehepaar geführt, das das historische Gebäude mit viel Einsatz und Herzblut erhält. Ursprünglich wollten sie einfach nur das Kulturgut bewahren – heute ist daraus ein Ort geworden, an dem Geschichte lebt. Hier werden regelmäßig Filme gedreht, unter anderem vom ZDF, und auch Sendungen wie „Das große Backen“ entstehen in diesen Mauern. Das Paar sorgt dafür, dass Schloss Stülpe nicht einfach ein Relikt vergangener Zeiten bleibt, sondern ein lebendiger Beitrag zur Kulturgeschichte.
Zur Begrüßung gab es selbst gebackenen Apfelkuchen, abends eine hausgemachte Quiche – und mein Zimmer? Ein historisches Himmelbett. Ein wunderschöner Abschluss für die längste Etappe bisher. Morgen starte ich etwas später – die Strecke führt mich bis kurz vor Berlin. Wenn alles gut läuft, erreiche ich am Montag gegen Mittag das Brandenburger Tor.
Was ich mir aus diesem Tag mitgenommen habe
Manchmal erkennt man schon am Anfang, dass ein Tag gut wird – so wie heute mit dem Regenbogen. Ich glaube, solche kleinen Zeichen sind weniger Zufall als Erinnerung daran, dass Haltung alles ist. Wenn man den Tag mit Offenheit und Zuversicht beginnt, fügt sich vieles fast von allein.
Auch der Baum auf meinem Beitragsbild hat mir etwas gezeigt: Stärke bedeutet nicht, nie zu wanken, sondern sich dem Leben anzupassen. Er hat sich gebogen, gekrümmt, gekämpft – und steht heute höher als alle anderen. Vielleicht ist genau das die wahre Form von Wachstum: sich den Gegebenheiten auch mal anzupassen, aber nie aufzugeben.
Und schließlich hat mir dieser Tag die Weite vor Augen geführt – nicht nur die der Landschaft, sondern auch die innere. Wenn man hinausgeht, weg vom Alltag, merkt man, wie klein man eigentlich ist. Und das ist befreiend. Denn wer sich selbst nicht ständig so wichtig nimmt, kann das Leben leichter nehmen – und andere einfach so sein lassen, wie sie sind.
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Bis morgen
Dirk





