Nach einem schönen Frühstück mit meiner Familie und den letzten kleinen Vorbereitungen für den Tag ging es gegen zehn Uhr los. Es war ein besonderer Start, denn nach fast einer Woche allein unterwegs zu sein, war es schön, wieder vertraute Gesichter um sich zu haben. Gleichzeitig merkte ich, wie sehr ich in den letzten Tagen in meinen eigenen Rhythmus hineingewachsen war. Plötzlich dauerte das Taschenpacken dreimal so lange wie sonst, und ich musste mehrmals etwas aus- und wieder einpacken, weil ich irgendetwas vergessen hatte. Es ist faszinierend, wie schnell man sich Routinen aneignet – und wie leicht sie durcheinander geraten, wenn sich nur ein kleiner Teil der Umstände ändert. Aber das ist wohl das Leben: Veränderung ist die einzige Konstante, und je besser man darin wird, sie anzunehmen, desto leichter fällt es, auch festgefahrene Gewohnheiten wieder zu lösen.
Die Strecke führte mich heute von Oranienburg Richtung Norden, entlang des Oder-Havel-Kanals und später der Havel. Es war eine wunderbare Route: Wälder, Wasser, Ruhe. Ein endloser Radweg, auf dem das Rollen fast meditativ wurde. Auch wenn es über weite Strecken leicht bergauf ging – die Havel fließt hier nämlich nach Süden – hatte ich das Gefühl, dass sich die Mühe lohnt. Das gleichmäßige Treten, das rhythmische Surren der Reifen, der Geruch nach feuchtem Holz und Wasser – das war genau die Art von Fahren, die ich an dieser Tour so liebe.
Allerdings war es heute auch die schwerste Etappe der bisherigen Reise. Das Höhenprofil verlief fast durchgehend gerade oder leicht ansteigend, was bedeutete: kein einziges längeres Stück zum Ausruhen. Von den 68,1 Kilometern konnte ich vielleicht ein paar hundert Meter wirklich rollen lassen – der Rest war Anschieben, Tritt für Tritt, immer weiter. Das ständige Treten zerrte mit der Zeit spürbar an den Kräften. Und obwohl das Wetter freundlich blieb, war es ein Tag, an dem Durchhalten wichtiger war als Tempo.
Zur Mittagszeit machte ich Halt in einem kleinen Dönerladen. Eigentlich wollte ich unterwegs öfter regionale Küche probieren, aber das ist gar nicht so einfach. Klassische Gasthäuser sind selten geworden, viele haben geschlossen oder öffnen nur noch unregelmäßig. Ein Dönerladen aber – den gibt es wirklich überall. Vielleicht ist das auch ein Zeichen der Zeit: Wir essen schneller, unkomplizierter, funktionaler. Der Teller Heimat wird ersetzt durch den Imbiss unterwegs.
Und dann kam sie – meine persönliche norddeutsche Herausforderung: festgefahrener Sand. Ganze drei Kilometer Radweg bestanden heute aus tiefem, lockerem Sand. Für normale Fahrräder schon unangenehm, für den Tretroller mit seinen schmalen Reifen eine kleine Tortur. Mehr als einmal blieb ich stecken, musste absteigen, schieben, fluchen – und lachen. Ich hoffe, dass Richtung Norden nicht allzu viele solcher Abschnitte auf mich warten, sonst wird’s mehr als sportlich.
Trotz der Anstrengung war es ein schöner Tag. Die Wege entlang des Wassers, die Schleusen, die kleinen Brücken, die Angler am Ufer – alles wirkte entschleunigt. Sogar die Radfahrer waren hier gemächlicher unterwegs als in Berlin. Vielleicht färbt das ruhige Fließen der Havel auf die Menschen ab. Es war ein Tag des stillen Vorankommens, ohne große Ereignisse, aber mit vielen kleinen Momenten, in denen man einfach nur sein durfte.
Am späten Nachmittag erreichte ich mein Ziel: Himmelpfort – der Ort, an dem der Weihnachtsmann hier in Deutschland zu Hause ist. Hier landen jedes Jahr zehntausende Briefe von Kindern aus aller Welt, über 300.000 sind es mittlerweile. Und natürlich konnte ich nicht einfach vorbeifahren, ohne meinen kleinen Beitrag zu leisten. Also habe ich fünf Euro gespendet, damit dieser schöne Traum erhalten bleibt – dass irgendwo in Deutschland ein Ort existiert, an dem Kinderträume noch ernst genommen werden. Und ganz ehrlich: Ein bisschen Magie tut jedem von uns gut.
Meine Unterkunft liegt gleich in der Nähe – ein kleines, gemütliches Waldhaus, in einer kleinen Gästehausanlage, das in Deutschland eine Besonderheit ist. Es ist vollständig auf Rollstuhlfahrer ausgerichtet, und die Besitzer führen es mit spürbarer Hingabe. Bei meiner Ankunft kam ich mit dem Eigentümer ins Gespräch, und es war eines dieser Gespräche, die nachhallen. Er erzählte, dass er früher im Rettungsdienst gearbeitet hatte, seine Frau in der Pflege – beide aus Baden-Württemberg, mit sicheren Jobs, einem geregelten Leben. Doch dann kam dieser eine Urlaub hier in Himmelpfort. Sie verliebten sich in die Gegend, in die Ruhe, in das Wasser. Und irgendwann entschieden sie: Wir bleiben hier. 800 Kilometer entfernt von ihrer alten Heimat, ohne zu wissen, ob das funktionieren würde. Heute betreiben sie diese Anlage seit Jahren – erfolgreich und mit Leidenschaft.
Ich bin wahrscheinlich einer der letzten Gäste, die sie haben, denn jetzt im Herbst und im Winter ist hier in Himmelpfort nichts los. Daher verbringen sie ihre Winter seit 20 Jahren in Thailand. 
Für mich war das inspirierend. Es zeigt, dass es Menschen gibt, die den Mut haben, Dinge wirklich zu verändern – nicht nur darüber zu reden. Die einfach springen, weil sie spüren, dass das Leben mehr bereithält, als sie bisher kannten. Vielleicht braucht es genau diesen Mut, um nicht nur ein anderes, sondern ein eigenes Leben zu führen.
Was ich mir aus diesem Tag mitgenommen habe
Routine gibt Sicherheit – aber sie kann uns auch bequem machen. Heute habe ich gemerkt, wie schnell man aus einem Rhythmus fällt, und dass genau das gut ist. Veränderung zwingt uns, wach zu bleiben, flexibel zu denken und nicht alles als selbstverständlich zu sehen.
Ich habe verstanden, dass Stillsein nicht Stillstand bedeutet. Es darf auch Tage geben, an denen einfach nichts Großes passiert – an denen man einfach fährt, atmet, denkt. Manchmal ist genau das die Pause, die man braucht, um wieder Kraft zu sammeln.
Und die Begegnung am Abend hat mir gezeigt, dass Mut nicht immer laut ist. Manchmal steckt er in stillen Entscheidungen, in kleinen Momenten des Loslassens, in der Bereitschaft, ein anderes Leben zu wagen. Vielleicht ist genau das der Zauber von Himmelpfort – ein Ort, an dem Wünsche ankommen und manchmal auch in Erfüllung gehen.
Nochmals vielen Dank an alle bisherigen Spender, die dazu beigetragen haben, das die 1000€ geschafft sind, und heute schon übertroffen wurden!!! 🙏🙏🙏
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Bis morgen
Dirk





