Der Morgen begann mit einem langen, intensiven Frühstücksgespräch mit den Betreibern meiner Unterkunft in Himmelpfort. Wir sprachen über ihre Arbeit mit Menschen mit Behinderung, über die Herausforderungen, die Freude und die emotionalen Höhen und Tiefen, die damit verbunden sind. Und über Thailand, wo sie jeden Winter überwintern – nicht nur wegen der Wärme, sondern auch, weil der Umgang der Menschen miteinander dort ein anderer ist. Mehr Respekt, mehr Gemeinschaft, weniger Ego. Ich ziehe den Hut vor Menschen, die ihre Zeit und Energie in etwas stecken, das anderen hilft – und dabei mit einer Ruhe und Selbstverständlichkeit auftreten, die vielen von uns längst verloren gegangen ist.
Gegen 9:30 Uhr startete ich in Richtung Neubrandenburg. Die Strecke war mit 60 Kilometern überschaubar, aber fordernd. Es ging durch Wälder, über Felder, entlang von Seen – und natürlich wieder über meine „norddeutschen Freunde“, die festgefahrenen Sandwege. Das Fahren war meditativ, der Kopf frei, und trotzdem ständig in Bewegung. Die Landschaft war wie ein langer Atemzug. Still, weit, fast leer – aber genau darin lag eine unglaubliche Schönheit.
Je weiter ich fuhr, desto stärker fiel mir der Unterschied zwischen Land und Stadt auf. Hier draußen hört man das eigene Denken wieder. Man riecht die Erde, hört das Rascheln der Blätter, sieht den Nebel über den Feldern. In der Stadt dagegen scheint alles darauf ausgelegt zu sein, uns zu beschäftigen, zu übertönen, abzulenken. Wir nennen das Fortschritt, aber vielleicht ist es nur gut organisierte Reizüberflutung. Ich glaube wirklich, dass viele Menschen in Städten leben, wie Tiere im Zoo – gefüttert, beschäftigt, versorgt, aber weit weg von einer „artgerechten“ Haltung für den Menschen. Wir sind nicht geschaffen für Beton, Dauergeräusch und grelles Licht. Wir sind geschaffen für Erde unter den Füßen, Stille im Kopf und echten Kontakt mit anderen.
Manche werden das sicher anders sehen – und das ist okay. Vielleicht liegt die Wahrheit irgendwo dazwischen. Aber ich merke, wie gut mir das Landleben tut. Weniger Input, mehr Sein.
Gegen Mittag holte ich mir in einem kleinen Dorfladen Wasser und ein paar Brötchen, denn auf der gesamten Fahrt gab es kein Gasthaus, keinen Imbiss, keine Tankstelle. Alles vor langer Zeit geschlossen, wie ich von der netten Verkäuferin in dem Einkaufsladen in unserem kleinen Gespräch erfuhr. Wenn man einfach nur zuhört, öffnen die Menschen ihr Herz.
Später, auf einer Allee zwischen Feldern, pflückte ich mir zwei Äpfel vom Baum. Ganz ehrlich: Dieser Moment war für mich Luxus pur. Kein Fünf-Gänge-Menü kann das ersetzen – ein frischer Apfel, Sonne im Gesicht, und das Gefühl, einfach unterwegs zu sein.
Am Nachmittag dann die letzten Kilometer nach Neubrandenburg. Am Stadtrand begrüßten mich die grauen, typischen DDR-Neubauten – ein vertrauter Anblick, wenn man in Ostdeutschland unterwegs ist. Doch mittendrin erhebt sich die Konzertkirche, ein wirklich imposanter Bau. Außen gotische Backsteinarchitektur, innen modern saniert – ein Ort, der Geschichte atmet und trotzdem in der Gegenwart angekommen ist. Sie ist heute ein Konzertsaal und akustisch einer der besten Europas. Ich blieb einen Moment davor stehen und wusste: Das wird mein Beitragsbild des Tages.
Nach einem kurzen Essens-Stopp bei einem kleinen Vietnamesen fuhr ich noch ein Stück weiter, hinaus aus der Stadt, in Richtung Norden. Auf einmal stand dort das Schild: Stralsund – 93 km. Ich musste grinsen. Das Meer ist greifbar nah.
Jetzt bin ich in Podewall, mein Ziel für heute. Noch 147 Kilometer bis zum Kap Arkona. Ich liege gut in der Zeit – und vielleicht, wenn alles läuft, bin ich sogar schon am Samstagmittag dort.
Was ich mir aus diesem Tag mitgenommen habe
Ich habe heute gemerkt, wie sehr uns Städte antrainieren, Lärm für Leben zu halten. Nur wer sich wieder in die Stille traut, merkt, was wirklich klingt. Die Ruhe des Landes ist kein Mangel an Reizen, sondern eine Rückkehr zur Balance.
Das Leben in Gemeinschaft – ob in kleinen Dörfern oder mit Nachbarn, die man kennt – ist keine Rückständigkeit, sondern Nähe. Ich glaube, dass Menschsein hier draußen einfacher ist. Unkomplizierter, echter. Vielleicht auch „artgerechter“.
Und ich habe gespürt, dass ich gedanklich langsam am Ziel ankomme. Der Kopf denkt schon an das „Danach“. Und vielleicht ist genau das die eigentliche Erkenntnis: Ziele sind keine Endpunkte, sondern Anfänge für das was danach kommt. Und wer unterwegs lernt, ruhig zu werden, der kommt am Ende wirklich an – egal, wo.
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Bis morgen
Dirk





